Das Strombad in Kritzendorf war zuletzt ein Geheimtipp. Seit der permanenten Präsenz in den diversen Medien aufgrund des Katatstropenhochwassers 2013 kennt es mittlerweile wieder jeder. So wie es in der Blütezeit gewesen ist.
Gegründet wurde die Siedlung als Freiluftbad, um „den wohltätigen Einfluss des Badens auch der ärmeren Bevölkerung und den Schulkindern zugute kommen lassen“ und spiegelte das sich historisch verändernde Verhältnis von Mensch und Natur wider. In der ersten Ausbaustufe reihten sich kleine Stelzhütten aneinander. Die Ausstattung war denkbar einfach, geradezu spartanisch. Das Leben spielte sich im Freien ab. Für Tagesgäste waren mietbare Umkleidekabinen vorhanden. Im Sommer verkehrten 30 – 40 Züge von Wien nach Kritzendorf. Man genoss die Freizügigkeit, die man in Wiener Bädern nicht hatte; dies nicht nur in bezug auf die Bademode. Der weite Auwald lieferte jene Formen von uneinsichtigen Plätzen, die für erotische Genüsse geradezu ideal waren.
Ende der zwanziger Jahre folgte dann die zweite große Ausbaustufe und erlebte das Bad historisch betrachtet seine Glanzzeit. Neben den puristischen Hütten entstanden nun kleinere Villen, Strand- oder Wochenendhäuser. Die neue Wochenendbewegung schuf eine eigene kleine Welt am Strom und entwickelte sich das Bad zu einem eleganten und exklusiven Treffpunkt. Schnell wurde das Bad zum Eldorado. Die soziale Schichtung der Gäste war durchaus heterogen. Im Strandpavillon spielten Kapellen und ein um 1928 errichteter Tanzboden machte das Strandvergnügen perfekt. Im Kritzendorfer Bad existierte die große Welt der Kleinen. Die sozialen Milieus die sich hier trafen, waren sowohl den begüterten Bürgertum der Advokaten, Architekten, Unternehmer und Gewerbetreibenden als auch dem Kleinbürgertum zuzurechnen. In beiden Schichten befand sich ein großer Prozentsatz mit jüdischer Herkunft, der explizit als erklärte Zielgruppe der örtlichen Politik galt. Ein Gutteil der heute noch existierenden Bauten stammt aus dieser Zeit.
Die vielfältig blühende Welt der „Riviera an der Donau“, als welche das Bad zu dieser Zeit galt, ging radikal in den braunen Fluten des Nationalsozialismus unter. Innerhalb kürzester Zeit nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich war das gesamte Bad arisiert und die enteigneten Häuser wurden von der Gemeinde an verdiente Parteigenossen der NSDAP vergeben. Das Kritzendorfer Strombad wurde somit zum Wiener Nazibad.
Der hoch verschuldeten Gemeinde Kritzendorf kam diese Entwicklung gelegen und konnte sich durch die Enteignungen und anschließenden Verkauf finanziell sanieren. Ende 1938 wurde Kritzendorf dem 26.Wiener Bezirk eingemeindet und das Strombad unter Wiener Verwaltung gestellt.
Mit dem zweiten Weltkrieg fand ein Modebad an der Donau sein radikales Ende. Zu den neuen Besitzverhältnissen im Bad trat in den Kriegsjahren auch wieder Ordnung ein, die zuvor nicht mehr herrschte. Trotz des politischen Umbruchs und trotz des Krieges herrschte in den Sommermonaten wieder reges Strandleben. Mit neuer personeller Besetzung folgte die Badekultur alten Mustern und auch die Restaurants sahen viele Gäste.
Nach Ende des Krieges vollzog der provisorische neue Bürgermeister von Kritzendorf einen unerwarteten Brückenschlag und begann im Bad eine konsequente Entnazifizierung.
Er ließ sämtliche Badehütten nationalsozialistischer Besitzer beschlagnahmen und vergab diese Häuser bis zu den Rückstellungsanträgen der jüdischen Besitzer zur treuhändigen Verwaltung an Opfer des Nationalsozialismus. Mit dieser „Rückarisierung“ setzte er einen beispielhaften Schritt im Sinne einer Wiedergutmachung, eine österreichische, lokalspezifische Besonderheit.
Der Wiederaufbau war in die Zukunft gerichtet und es etablierte sich im Bad wieder eine neue Sozialstruktur.
1954 wurde Kritzendorf von Wien wieder ausgemeindet und damit ein Teil von Niederösterreich. Kritzendorf verwandelte sich von einer Sommerfrische zum begehrten Dauerwohnsitz. Die sechziger und siebziger Jahre brachten die letzte große Expansion.
Die Stelzenhäuser im Bad wurden immer komfortabler und erlebte Kritzendorf ein letztes Mal auch als Ausflugsziel eine Glanzzeit. Der offizielle Betrieb wurde 1977 eingestellt.
Heute präsentiert sich das Strombad in Kritzendorf als Freibad am Fluss und gilt als Geheimtipp für nostalgische Verliebte und als kleines Paradies, nur 15 km von Wien entfernt.
Man muss die Hauptstrasse verlassen, um das Besondere zwischen Fluss und Wald zu entdecken. Ein spezifischer Genius Loci schwebt auch heute noch über Kritzendorf und lockt verschiedenste Repräsentanten aus der Kulturwelt in die frische Luft.
Zwar hat das Bad seinen inspirierenden Charakter der dreißiger Jahre verloren, aber dafür eine besondere Atmosphäre bewahrt. Man kann direkt von Wien mit dem Rad auf dem alten Treppelweg entlangfahren und sich am Ufer ausruhen und blickt, wie frühere Generationen auch, den Schleppern nach oder erfrischt sich in den Fluten. Ein Spaziergang durch die Gassen entpuppt sich wie ein Ausflug durch ein ganzes Jahrhundert. Die verschiedenen Bauformen der Sommerhäuser markieren die unterschiedlichen Ausbaustufen des Bades und ein Geschmack der Besitzer. Hier zeigt sich Architektur als lebendige Geschichte.
Wie ein Freilichtmuseum präsentiert sie sich jenen, die ihr Gehör und Blick schenken.