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Flussmenschen

Grün, grau, braun – nein, blau ist sie nicht, die Donau, aber im Sonnenschein changiert sie in den wärmsten Erdtönen. Während andere von mehr Meer träumen, finde ich das kleine Sommerglück im Strombad Kritzendorf vor den Toren Wiens. Die Donau führt hier Regie. Erst vor kurzem bäumte sie sich in voller Kraft auf – und verließ für einen Augenblick ihr Bett. Mit kleineren und auch großen Hochwassern lernt man hier zu leben. Die Donau ist, was sie ist – eine Naturgewalt. Und wahre Flussmenschen verneigen sich vor ihr.

Als meine Schwester und ich klein waren, da machte uns unser Vater zu Flussmenschen. Wir spielten am Strand, eingehüllt in diesen ganz eigenen Duft der sonnenwarmen Steine. Wir wussten, wo die Donau sanft und wo sie wild war, wo man sich treiben lassen durfte und wo die Stromschnellen gefährliche Strudel entfachen konnten. Unser Vater teilte mit uns die Geschichten dieses Stroms, der zu seiner Lebensader geworden war, er erzählte von fernen Ländern, die die Donau auf ihrer langen Reise durchfließt, und von den eigenen Erinnerungen.

Auch der Wiener Liedermacher Ernst Molden wurde durch meinen Vater zum Flussmenschen. Er hat die Liebe zur Donau in Musik verwandelt, seine Lieder begleiten nun die Erinnerungen, die an mir vorbeitreiben. Und diese wunderbare CD „schdrom“hat er Ernst Trost gewidmet, dessen Lebensweg genau heute vor einem Jahr am Strom endete.

(Quelle: Franziska Trost, KronenZeitung 24.7.2016)

Der Architekt Julius Wohlmuth (1874-1931)

Wohlmuth war neben Rollig maßgeblich an der Gestaltung vom Strombad in Kritzendorf beteiligt.

Der Erste Weltkrieg hat Wohlmuths Karriere unterbrochen. Dessen ungeachtet bot sich ihm aber bald wieder eine Möglichkeit, zumindest eingeschränkt seinen alten Beruf wieder aufzunehmen. Bereits vor dem Krieg hatte er die Sommermonate mit seiner Familie in Kritzendorf verbracht, um sich Anfang der Zwanziger Jahre hier völlig niederzulassen, wobei der Wohnsitzwechsel möglicherweise in Hinblick auf neue Aufgaben erfolgte. Nur einige Kilometer nördlich von Wien gelegen, verfügte der Ort bereits seit 1903 über ein Strombad an der Donau. Im Laufe der Jahre hatte sich ein reges Badeleben zu entwickeln begonnen. Insbesondere in den frühen Zwanziger Jahren erfuhren Kritzendorf und die umliegenden Orte an der Donau, die mit der Bahn gut erreichbar waren, infolge freierer Lebensformen und des Aufkommens der Weekend-Bewegung geradezu eine Hochblüte, und es entstanden zahlreiche Wochenendsiedlungen mit kleinen Badehütten.

Eine der massgeblichen Persönlichkeiten dieser Entwicklung war der Wiener Anwalt Dr. Marcel Halfon in seiner Funktion als Präsident des Wochenendvereines Österreichs, und als Obmann des Bundes der Hüttenbesitzer in Kritzendorf. Sozusagen als spiritus rector übernahm er nicht nur die juridischen Belange der Wochenendhausbesitzer, sondern trug auch mittels diverser Publikationen zur Popularität des nahe bei Wien gelegenen Erholungsgebietes bei.10 Nicht zuletzt dürfte es dem Engagement Marcel Halfons zu verdanken sein, dass Kritzendorf sich – neben Geschäftsleuten und Mittelständlern – vor allem unter jüdischen Künstlern und Intellektuellen grosser Beliebtheit erfreute und in der Folge zu einer „jüdischen Riviera“ mit einem regen Kulturleben entwickelte. Neben der jungen Hilde Spiel, Friedrich Torberg und vielen anderen, die hier Erholung suchten und sich auch im örtlichen Sportklub betätigten, errichteten auch viele namhafte jüdische Architekten für befreundete Künstler hier diverse Wochenendhäuser, wie Paul Fischl, Felix Augenfeld (für die Kunstgewerblerin Maria Likarz-Strauss), Ernst Schwadron, Fritz Keller und andere mehr. Jacques Groag, einer der bekanntesten Schüler von Adolf Loos, hat noch viele Jahre später in seinem Londoner Exil in seinen Erinnerungen ein ganzes Kapitel seinem geliebten Kritzendorf , das er auch in einem Wortspiel „Village de Kritzen“ nannte, gewidmet.11

Im Rahmen des Ausbaus des beliebten Erholungsgebietes spielte natürlich auch Wohlmuth, der hier ja sozusagen zu Hause war, eine nicht unbedeutende Rolle. Bereits Anfang der Zwanziger Jahre zählte der Bau einer Brücke über den Donaudurchstich zu einem seiner ersten Aufträge. In den nächsten Jahren entwarf er vor allem diverse Wochenendhäuser, im typischen Kritzendorfer Stil in Holzbauweise mit Flachdach auf Stützen (wegen der häufigen Ãœberschwemmungen), die auch von Marcel Halfon publiziert wurden.12 Während ungewiss ist, wie viele von Wohlmuths Entwürfen tatsächlich realisiert wurden, ist ein 1926 errichtetes Strandhaus für den Zahnarzt Dr. Hermann Grünberg eindeutig dokumentiert.13 Es zeichnete sich durch bemerkenswerte kubistische Details wie gezackte Fensterumrahmungen und sich verjüngende Holzpfeiler aus. Das Haus wurde nach der „Arisierung“ von 1938, die Kritzendorf mit besonderer Härte traf, erweitert und umgebaut, besteht im Kern allerdings bis heute. 14

Darüber hinaus war Wohlmuth fortlaufend mit dem Ausbau und der Verbesserung der alten Badeanlage, die noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammte, befasst. All diese Massnahmen erwiesen sich angesichts der ständigen wachsenden Beliebtheit der Gegend, die sich inzwischen zur grössten Weekendhaus-Siedlung Österreichs entwickelt hatte – an manchen Sonntagen kamen bis zu 15.000 Badegäste – als unzureichend, so dass 1926 schliesslich ein Neubau des Strombades in Angriff genommen wurde. Es war nicht zuletzt Julius Wohlmuth, der das diesbezügliche Ansuchen an die niederösterreichische Landesregierung stellte und auch bei der Ausschreibung und Planung massgeblich Anteil hatte. In Zusammenarbeit mit dem Wiener Architekten Heinz Rollig errichtete er in den Jahren 1927/28 die neue Badeanlage, wobei insbesondere die Hüttenzeilen und Kabinentrakte durch einen zentralen Platz eingebunden werden sollten. Daneben entstand eine umfassende Infrastruktur, wie eine Milchtrinkhalle, eine Schiffsstation, ein Friseur, ein Fotograf und anderes mehr. Einen wichtigen architektonischen Akzent stellte der Torbau des Eingangsbereiches dar, der formal angelehnt an die Bauhausarchitektur die Schwelle zwischen Natur und Kultur symbolisiert. Auf dem Dach war eine Kaffeekonditorei untergebracht, von deren Terrasse man einen prachtvollen Ausblick auf die Donau geniessen konnte.

Julius Wohlmuth verstarb schon bald danach, im März 1931- erst knapp 58-jährig. Er war offensichtlich bis zuletzt mit diesem Projekt beschäftigt gewesen. Kritzendorf konnte sich noch für einige Jahre eines blühenden Badelebens erfreuen, das mit dem „Anschluss“ Österreichs jedoch ein jähes Ende erfuhr. Schon im März 1938 wurde Juden der Zutritt uim Strombad verwehrt, Kritzendorf zu Gross-Wien eingemeindet und die Häuser, die zu 76 Prozent in jüdischem Besitz waren (im Sportklub, der ein eigenes Areal innerhalb der Anlage innehatte, betrug der Anteil sogar 96%) „arisiert“. Marcel Halfon, der sich so viele Verdienste erworben hatte, beging noch im Mai 1938 Selbstmord. Ein kurz zuvor gestellter Antrag, seine beiden Häuschen seiner „arischen“ Lebensgefährtin zu vermachen, war abgewiesen worden. Die neuen Besitzer, darunter auch NS- Prominenz wie der Gauleiter Baldur von Schirach, nutzten die Gelegenheit, um Badehütten auszubauen, zusammenzulegen oder auch völlig abzutragen. Sogar Ausbaupläne für ein KdF-Bad (NS-Freizeitorganisation Kraft durch Freude) wurden in Angriff genommen, infolge der Kriegsereignisse jedoch nicht mehr realisiert.

(Auszugsweise, Jüdische Kulturzeitschrift, Ausgabe 83, Ursula Prokop)

Seine Denkwürden, das Strombad

Kritzendorf. Regenerieren in würdigem Rahmen und plaudern mit den Kieseln am Donaugrund: Besuch im Strombad.

Zwei Mädchen baggern einen Volleyball in den Donausand. Ein Herr mit Hund flaniert und grüsst freundlich. Vogelgezwitscher. Blätterrauschen im Auwald. Eine weite Wiese, besprenkelt mit Badenden aller Altersgruppen. Vor ihnen ein Kiesstrand und der grosse breite Strom, der noch nicht weiß, dass er bald in einen Donaukanal gezwängt und an herbeigekarrten Sandhaufen und Badeschiffen durch die Wiener Innenstadt gluckern wird.

Wer passt zu mir?

Wie Sie als Single mit dem Persönlichkeitstest von diepresse.com/partnersuche Ihren Traumpartner finden. Mehr Infos. » Der idyllische Donau-Badeplatz vor den Toren von Wien ist von Weiden und Pappeln begrenzt, durch das weitläufige Grün des Rasens zieht sich der Treppelweg. Im Hintergrund der Freibad-Szenerie verkünden grosse braune Lettern auf der mächtigen hölzernen Brücke, dem Eingang zum Bade-Areal: Kritzendorf. Und genau diese abgezirkelte, fein definierte Identität ist es, die den unverwechselbaren Charme des Strombades in Kritzendorf ausmacht: regenerieren in würdigem Rahmen.

Das hölzerne Rondeau von Badekabinen und einem altmodischen Buffet bildet den inszenierten Auftakt für einen Tag unter blauem Himmel, an dem sich der Blick in der Donau verlieren kann. Im Strombad Kritzendorf gibt es keine Drehkreuze und seit den Siebzigerjahren keine Bäderkassen mehr. Nicht der Rummel, sondern die Ruhe herrscht hier.

„Wer in der Donau schwimmen gelernt hat, der wird das Gefühl, wie das Wasser einen mitnimmt, und das Plaudern Kiesel am Grund nie missen wollen,“ schwärmt Hilde Philippi, eine Dichterin und Klosterneuburgerin, Jahrgang 1941, die mit der Donau aufgewachsen ist.

Eine gute Portion Nostalgie schwingt beim Baden in Kritzendorf mit. Immerhin wurde das Strombad schon 1902 vom örtlichen Verschönerungsverein „Die Linde“ errichtet. In den 20er-Jahren sprach man gar von „Kritz-les-Bains,“ in Anspielung auf die mondän-eleganten verwandten Orte in Frankreich.

Farkas, Doderer, Leopoldi

Karl Farkas badete in Kritzendorf, Doderer machte es zu einem der Schauplätze der „Strudelhofstiege“. Hermann Leopoldi betitelte 1935 einen Schlager „Mein Schatz ist bei der Feuerwehr in Kritzendorf.“ Industrielle, Akademiker und Künstler zog es nach Kritzendorf. Es ging rund, Orchester spielten auf, Kabaretts erheiterten, im Bad war sogar ein Theater geplant.

Aus den bescheidenen Badehütten rund um das Strombad wurden Villen. Deren grösste ist die sogenannte „Meinl-Villa“, ein Holzbau, der ob seines Pagodendachs Julius II. Meinl angedichtet wurde, da dieser mit einer Japanerin verheiratet war. Tatsächlich aber war die Villa vom Wiener Neustädter Brauereibesitzer Anton Redlich erbaut worden, der ein Asien-Faible hatte. Die Miniatur-Häuser auf Stelzen waren das ideale Betätigungsfeld für Jungarchitekten. Und sind es bis heute.

Als das Hochwasser 2002 ein Pfahlhaus wegschwemmte, bekam das Architekturbüro Dreer 2 die Möglichkeit, ein neues Haus an die Donau zu setzen. „Max 35“ war der Name des Projektes, gemäss der Vorgabe, auf maximal 35m2 Wohnfläche ein Einraumhaus mit Möblierung, Küche und Ãœbernachtungsmöglichkeit für möglichst viele Leute zu konstruieren. Die Donau-Architektur in Kritzendorf kombiniert seit eh und je kleinsten Wohnraum mit grossem Aussenraum.

1938 fielen viele Kritzendorfer Strombadendeund Badehäuschenbesitzer dem politischen Ungeist zum Opfer. Ein Grossteil der Häuser musste umgehend geräumt werden. Die gute Nachricht ist, dass es 1945 zu einer vorbildlichen Restitution in Kritzendorf kam. Der Bäderverwalter Hans Reif kündigte sämtliche Ariseure und versuchte, die rechtmässigen Eigentumsverhältnisse wiederherzustellen. Doch die meisten der Vertriebenen wollten nicht mehr nach Kritzendorf zurück. Das Bad fiel in einen Dornröschenschlaf. Bis heute scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein.

Einer der nie Zurückgekehrten ist der Grossvater von Miguel Herz-Kestranek. In einem Brief aus der Emigration vermerkt er an einem Nachmittag in Südfrankreich: „Heute war es ganz so wie in Kritzendorf.“ Enkel Miguel kennt den Ort und kleidet den Zauber von Kritzendorf in ein poetisches Paradoxon: „Kritzendorf erinnert mich an etwas, was ich nie erlebt habe.“ Auch den Wiener Designer Robert La Roche hat die Magie von Kritzendorf in ihren Bann geschlagen: „Der Fluss ist das Sinnbild des Lebens, und die vorbeiziehenden Schiffe sind die perfekten Fernweh-Träger.“

Das Haus mit Donaublick, das Robert La Roche in Kritzendorf bezogen hat, ist winzig, 21 Quadratmeter Wohnfläche und die Dusche im Freien. Architektonisch ist es ein Juwel: Es stammt von Heinz Rollig, der auch das Strombad in den 20er-Jahren umgestaltet hat. Das Donau-Haus, innen komplett weiss gestrichen, ist erfrischend international, es könnte genauso gut in Florida oder Norwegen stehen. Mit dem Hochwasser haben sich Robert La Roche und seine Frau arrangiert: „Wir pflanzen einfach keine Blumen rund ums Haus. Hin und wieder schwemmt der Fluss ohnehin eine Tulpe an, die dann im Haus hängen bleibt.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.07.2007)

 

Bauen fürs Baden

Elegant, modern, pragmatisch: die Bauten in den Donaubädern. Ein Forscherteam hat ihre Architektur in Klosterneuburg und Kritzendorf unter die Lupe genommen.

Viele der ab den 1920er-Jahren entstandenen Strandhäuser in den Badekolonien an den Donaustränden von Klosterneuburg und Kritzendorf entsprechen jener Neuen Architektur, deren Grundelemente Le Corbusier in fünf Punkten zusammenfasste: Haus auf Pilotis, freier Grundriss, freie Fassade, lange Fenster, Dachgarten. Entlang der Donau war und ist das Aufständern auf Pfahlstützen zum Schutz vor dem Hochwasser unbedingt notwendig, und die Kleinheit der Hütten zwang zu kreativen Einraum-Lösungen. Zum geschützten Sonnenbaden ( meterhohe Zäune und Thujenhecken um die privaten Parzellen gab es damals offenbar nicht ) errichtete man Sonnendecks, die auf das Satteldach oder einen Zubau gestellt wurden. Bald ging man dazu über, die Häuser gleich mit flachen Dächern zu versehen, um ein ordentliches Plateau zum Zwecke der Körperbräunung zu erhalten.

Wie sehr also handfeste Pragmatik Hauptursache für die moderne Freizeitarchitektur war oder ob sie doch mehr der Haltung kunstsinniger Bauträger, Bauherrn und Auftraggeber aus dem gehobenen Bürgertum zu verdanken ist, sei dahingestellt. Unter den Bewohnern fanden sich Persönlichkeiten wie der Industrielle Wilhelm Blaschczik, die Kabarettistin Cilli Wang-Schlesinger oder die Künstlerin Maria Strauss-Likarz, deren „Weekendhaus“ an der Kritzendorfer Donaulände von Felix Augenfeld geplant wurde, der 1938 wie viele andere der jüdischen Auftraggeber und Planer, zur Emigration gezwungen war.

„Sowohl die Architektenschaft als auch der 1921 unter Marcel Halfon gegründete Bund der Hüttenbesitzer im Donaustrandbad Kritzendorf trachteten danach, den Selbst- und Eigenbau von Hütten einzudämmen und stattdessen fachkundige Personen heranzuziehen“, schreibt die Kunsthistorikerin Sabine Plakolm-Forsthuber. Es ist der Sozial- und Kulturhistorikerin Lisa Fischer zu verdanken, dass das, was diese Architekten an qualitätsvoller Badearchitektur zuwege brachten, nach Jahrzehnten der Missachtung einer adäquaten Aufarbeitung unterzogen wird. Fischer legte mit dem Buch „Die Riveria an der Donau“ und der Ausstellung im Wien Museum vor drei Jahren eine kurzweilig aufbereitete Untersuchung der Badekultur im Strombad Kritzendorf vor und widmete darin auch der Architektur Raum, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sich hier noch ein weites Betätigungsfeld für Bauhistoriker auftut.

Von Fischer angeregt, erforschen nun Caroline Jäger-Klein, Professorin für Architekturgeschichte an der Technischen Universität Wien, und ihre Kollegin Sabine Plakolm-Forsthuber, gemeinsam mit ihren Studierenden die Wochenendkolonien von Klosterneuburg und Kritzendorf. Sie liefern sowohl eine architekturhistorische Einordnung, recherchierten die Siedlungshistorien und zahlreiche Baugeschichten und sparen auch die NS-Zeit nicht aus, in der 76 Prozent der Häuser von der Arisierung betroffen waren.

Bereits 1878 wurde das private Englbad, ein Schwimmschiff, an einem der Klosterneuburger Donauarme errichtet, das 1913 von der Gemeinde übernommen wurde. Das Schwimmschiff wurde vergrössert und die Anlage um Kabinentrakte und ein Restaurant erweitert. Sieben Jahre später präsentiert der Otto-Wagner-Schüler Franz Polzer Pläne für eine grosszügigere Anlage um einen „Volksfestplatz“, für die er die Vorbilder unter anderem an der Adria und dem Mittelmeer fand. Und 1923 erfolgte schliesslich die nächste grosse Erweiterung, die das Strandbad um eine Wochenendkolonie für Städter, die sich einen mehr oder weniger bescheidenen Feriensitz am Stadtrand leisten konnten, bereicherte. Bald darauf ortete die ortsansässige Tischlerei Leopold Haas & Sohn ein neues Geschäftsfeld und begründete die „Haas-Kolonie“, die mit Badehüttenin grosser Vielfalt und von durchwegs modernem Gepräge bebaut wurde.

Ebenso wie im benachbarten Kritzendorf war eine Reihe weiterer Holzbaubetriebe aktiv, die mit Wochenendhäusern in Fertigteilbauweise am Badehaus-Boom partizipierten. Darunter die Baugesellschaft Wenzl Hartl und (damals am aktivsten ) die Klosterneuburger Wagenfabrik (Kawafag). Der Geschichte und Rolle dieser trotz ihrer Produktivität heute wenig bekannten Pionierfirma beleuchtete der Diplomand Thomas Prilc. Das ursprünglich Fuhrwerke und Holzscheibtruhen erzeugende Unternehmen verlegte seine Produktion ab 1923 auf Fertigteilhäuser und errichtete bis zur Zerschlagung des Unternehmens im Jahr 1938 über 2000 Ferienhäuser in ganz Österreich.

Das patentierte System der Kawafag bestand aus einer Kombination der Tafelbauweise in Holz mit einer Massivbauweise aus vorgefertigten Leichtbetonplatten. Das Unternehmen entwickelte mehrere Typen: Die S-Serie umfasste Sommerhäuser vom minimalen Einraumhaus bis zur Strandvilla mit 34 Quadratmeter Grundfläche und drei Zimmern. Die Luxusvariante im Programm war die zweigeschossige Type A1, die mit Terrassen auf jeder Ebene und einem polygonalen Erker ausgestattet war. Zahlreiche der Kawafag-Entwürfe stammen von den damals recht angesehenen Architekten Fischel & Siller. Auch Karl Haybäck junior und Michel Engelhart entwickelten drei Haustypen und realisierten auf einem gepachteten Areal vier „Weekendhäuser in Holzfachwerk und eingespannten Heraklithplatten“.

Heute herrscht in den Strandbadkolonien Klosterneuburgs wieder ein reger Bauboom, zu einem guten Teil verursacht durch das Hochwasser im Jahr 2002. An die Eleganz und Modernität der Frühzeit können nur wenige der Neubauten und Adaptierungen anschliessen. Zeitgenössische Bauten, die dem Charakter der Siedlung entsprechen und dennoch heutige Komfortansprüche erfüllen, sind etwa ein Zubau von Andreas Fellerer in der Badesiedlung Greifenstein (die noch der Erforschung harrt), die Villa Bruno von Unsquare Architects im Strandbad Klosterneuburg oder das Strandhaus MAX35 des Architektenteams DREER2 in der Haas-Siedlung.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.05.2007)

 

 

An der Riviera an der Donau ist Platz für Jeden.

Keine Wasserrutsche, kein Whirlpool, ja noch nicht einmal ein beheiztes Schwimmbecken. Einfach eine Wiese, ein paar Pappeln und Weiden. Und doch: Das Baden an der Donau und in der Donau in Kritzendorf hat was.

Badestrand
Badestrand
Badestrand

Auf dem Weg zur grossen Bad-Wiese durchschreitet man das Strombad Kritzendorf. Und an manchen Stellen weht dort noch das Flair der dreissiger Jahre: Einige der Häuschen im „Bad“ entstanden durch die bekannten Architekten Adolf Loos, Felix Augenfeld oder Heinz Rollig.

Zu seiner Hochblüte in der Zwischenkriegszeit tummelten sich an schönen Wochenenden entlang des Donauufers bis zu 12.000 Menschen aus allen sozialen Schichten. Künstler und wohlhabende Geschäftsleute hatten hier ihre stilvollen Häuschen neben den Kabinen gewöhnlicher Arbeiter. Kritzendorf wurde zur „Riviera an der Donau“.

1938 wurde das Strombad, viele Häuser gehörten Wiener Juden, arisiert. Die Häuser wurden für Österreich vorbildlich – vom ersten Kritzendorfer Bürgermeister sofort nach Ende der Nazi-Herrschaft an die Enteigneten zurückgegeben. Aber um das Phänomen „Strombad Kritzendorf“ war es geschehen.

Zwei Tipps:

1. Wer ins Wasser geht, sollte wirklich gut schwimmen können, die Strömung und die Strudel der Donau sind nicht zu unterschätzen. Je weiter man raus schwimmt, desto gefährlicher wird die Sache. Und: Das Wasser erfrischt wirklich, denn es ist eiskalt.

  1. Nach dem Bad: In Kritzendorf gibt es noch richtig urige Heurige. Keine Riesenbuffets sondern Schmalzbrot und Soletti mit Liptauer. Und die Weine sind alle aus eigenem Anbau. (md)
Anfahrt:

Mit der Schnellbahn S40 Richtung Tulln, in Kritzendorf aussteigen, über die Ãœberführung gehen, dann über eine kleine Brücke und immer gerade aus.
Mit dem Auto: B14 bis Klosterneuburg, dort am Stadtplatz rechts (siehe Hinweisschild) und immer gerade aus. In Kritzendorf auf Hinweisschild „Strombad“ achten.

DiePresse,10.5.2007

 

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Kritzendorf: Garten zwischen Flut und Glut

Die Strombadsiedlung Kritzendorf, von einer Ausstellung im Wien Museum gerade als „Riviera an der Donau“ gefeiert, erweist sich bei näherem Hinschauen als sperrige Schönheit, die von ihren Bewohnern vor allem zwei Dinge verlangt: Hingabe und Treue.

Bleibt der Sommer friedlich? Diese Frage stellt der Kritzendorfer Siedler leise. Die anderen, etwas lauteren Gespräche prangern eine noch immer nicht restlos aufgeräumte Brandruine an der Ostflanke der Siedlung an, behandeln die nervige Pumpe im Schwimmbad des A., kritisieren die schlimmen Kinder der B. oder analysieren den Sauhaufen im Garten der Cs., nach deren grossem Grillfest, das die konsensual festgelegten Lärmvorschriften doch eindeutig verletzt habe.

Noch lauter wird der Siedler, wenn er erklärt, dass der Wirt des Donaurestaurants heute, und zwar nur noch heute, dieses erstklassige Schwammerlgulasch auf der Karte habe, oder wenn er beklagt, dass die zweite am Gestade gelegene Restauration, der Sienel, wegen „Überlaufenheit“ durch Radlfahrer kaum noch zu besuchen sei. Oder wenn der nächste vom Besuch dieser Ausstellung im Wienmuseum berichtet, wo unter dem schmeichelnden Titel „Kritzendorf, Riviera an der Donau“ das Leben am Fluss wieder ein bisschen einfacher geredet werde, als es eigentlich sei.

Augenblicklich wirkt alles ganz leicht: Die Riesenweiden links und rechts der Strombadwiese fächeln sacht mit ihren ausladenden Ästen. Metallisch arbeitet der Wind in den Blättern der Pappeln. Schilf raschelt. Nur die von vereinzelten Föhren fallenden  Bockerln fetzen manchmal durch die Siesta. Kinder erbetteln das dritte Eis des Tages.
Doch man weiss: Im Perfekten nistet die Panik. Und der Mensch im Inneren der Idylle macht gern die Apokalyptik zu seinem Steckenpferd.

Bleibt der Sommer friedlich? Zwei alte Damen stehen am Treppelweg im Schatten der Weiden. Die eine steckt im multicoloren einteiligen Badeanzug, die zweite trägt ein Kopftuch wie einen Turban. Ihr Schwiegersohn, bemerkt die erste, habe ja lange Zeit in Ägypten gearbeitet, und dort gebe es diese ganz und gar schreckliche Prophezeiung, wonach auf einen Flutsommer und einen Glutsommer stets und verlässlich ein Blutsommer folge.

Die zweite kündigt an, sich jetzt langsam auf den Weg stromaufwärts zu machen. Der Spaziergang, ergänzt sie, sei ja bekanntlich die erste Hälfte des Vergnügens. Erst dann komme das Bad.

Am Grund der Hölle. Im Flutsommer zweitausendundzwei war hier das Klo der Welt, war hier der Schauplatz der geheimen Offenbarung, war hier ein Spiegelbild des Rio Grande am Grund der Hölle.

Diese Flut, die gross genug war, dem österreichischen Finanzminister sein Nullbudget zu vermiesen und dem deutschen Bundeskanzler seiner Gummistiefel wegen zur Wiederwahl zu verhelfen, sie schmiss sich mit allem, was an ihr übel war, auf Kritzendorf, den treuesten Garten des Stromes Donau. Ein Vorbote der Flut, ein kleineres Hochwasser, kam schon im späten Frühjahr, im Juli erschien sie selbst, hielt kurz inne, und kehrte im August als alles verschlingendes Höllenwesen wieder. Nach ihr herrschten Verwüstung, Auflösung, Tristesse und Pestilenzgeruch. Die Flut hatte sämtliche Schleusen des Stromes geöffnet, aber sie hatte auch die Senkgruben zum Überschäumen, die Kanäle zum Platzen gebracht, und jener stumpf-schwarze Schlamm, der nun, nachher, über den Stränden, auf den Liegewiesen und meterhoch in den Gärten der Stelzenhäuser ausgebreitet lag, atmete den Geruch einer fäkalen, untoten Gegenwelt.

Als die Freiwillige Feuerwehr und die ersten Wassernachbarn mit ihren Zillen in die Kanäle aufbrachen, die vordem die Gässchen und Strassen der Siedlung Kritzendorf gewesen waren, erzählten sie von ganzen Dächern, die hunderte Meter von ihren Häusern entfernt an Auwaldriesen zerschellt waren, von Rehkadavern, die aufgeschlitzt in Gartenzäunen hingen, und sie berichteten von einer allgegenwärtigen, malzkaffeebraunen Flussbrühe voll Leben und Tod, die, einzige Verheissung, jetzt aufgehört habe zu steigen.

In den Monaten nach diesem von Kloakenwasser zerschmetterten Hochsommer nahmen die Kritzendorfer jedes Ding in ihren gefluteten Häusern (nur ganz wenige besassen Stelzen von einer Länge, die sie vor der Kloake beschützte) in die Hand, betrachteten und wogen es, und von zehn Dingen mussten neun weggeworfen werden. Sperrholzhaufen wie mehrstöckige Häuser wuchsen in den Knoten der Siedlung. Einige Siedler bauten neue Häuser, andere verkauften die ihren und zogen weg. Eine Siedlerin, die Jahrzehnte hier ist, sagt: Das Hochwasser macht alles kaputt, und dann mischt es die Leute neu.

Naturliebe & Ribiselwein. Es gibt ein Kritzendorfbewusstsein, und es gibt ein heterogenes Kritzendorfmilieu. In der Siedlung und dem dazugehörigen Strombad mischen sich seit mehr als einem Jahrhundert die besseren Seiten Niederösterreichs und Wiens und bekanntlich stehen einander Österreichs grösstes Bundesland und seine darin eingeschlossene grösste Stadt, zartfühlend gesagt, argwöhnisch gegenüber.

Nicht hier: Franz-Josefs-Bahn und der Wille zum jungen Ritus Sommerfrische beförderten zur vorletzten Jahrhundertwende die Hauptstädter nach Nordwesten, wo sie den Liebreiz ihres hier noch unschuldigeren und reineren Stromes entdeckten. 1903 eröffnete das Strombad, und die ersten bewohnbaren Badehäuschen, nach einem frühen jüdischen Siedler die Löwensteinhütten genannt, wurden bezogen.

Wanderbewegung, Naturliebe und Körperkultur, soziokulturelle Novitäten in den ersten drei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, standen ebenso hinter dem durchschlagenden Erfolg des Konzeptes Kritzendorf wie der süsse Ribiselwein, für den die Gegend vor hundert Jahren berühmter war als für den heute verbreiteten reschen Weissen.

Metropolenkultur in Ferien, die sich bis heute etwa am Semmering und in Reichenau sommers zu etablieren pflegt, strebte damals auch donauaufwärts, Konzerte, Tanz-Soires und gesellschaftliche Grossereignisse unter Mitwirkung der Kunstprominez bildeten die Säulen, zwischen denen das Kritzendorfer Sommergefühl wie ein feines Netz hing.

1938 ff. wurden mehr als drei Viertel der Kritzendorfer Häuser als jüdischer Besitz enteignet und arisiert. Sieben Jahre lang tobten sich die Nazis und ihre Hofschranzen am Donauufer aus. Zu Kriegsende 1945 setzte der Kritzendorfer Bürgermeister Hans Reif einen für österreichische Verhältnisse einmaligen Akt und enteignete alle Ariseure mit einem einzigen Entscheid. Dennoch kehrten kaum Vertriebene in das alte Krize-les-Bains zurück, sie verkauften ihre Hütten und Häuser, und das, was hier ein, zwei Jahrzehnte ein bisschen nach weiter Welt und Riviera gerochen hatte, verschwand.
Heute ist Kritzendorf, was es angenehm macht, eine schwer einzuordnende Mischung von Menschen ostösterreichischer Prägung. Snobs hausen Zaun an Zaun mit Mundls. Wiener Künstler verblassen neben Originalen, die hier am Wasser weltberühmt sind. Man duldet und erduldet sich.

Amir, der türkischstämmige Greissler des Strombads, ein Esperanto-Aktivist und Philantrop, verkauft Wurstsemmeln und gefüllte Weinblätter, Schwimmflügerln und betagte Illustrierte. An den Abenden stellt er einen kleinen Tanzboden auf und veranstaltet Sambakurse, und manchmal ist wieder ein Hauch der alten Rivieragefühle da.
Das Bad lässt jeden ein, der Eintritt ist frei, und auf sehr spezielle Art reinigt die Donau alle.

Zweitausendunddrei, der Glutsommer. Die Erde der Ufergegenden, der Löss des Wagram, der schwarze Grund vom Tullnerfeld waren längst rissig und aufgesprungen, die Nachrichtensprecher und Nachrichtenmagazine plapperten von Jahrhundertdürre, da wurde es in Kritzendorf so heiss, aber auch so schön wie selten zuvor.

Wer unter den Siedlern jetzt seinem Häuschen untreu geworden war, um woanders Ferien zu machen, dem vertrocknete alles Grün binnen Tagen, die Dagebliebenen gossen dreimal am Tag mit knapper werdendem Wasser, die ewigen Heimwerker gaben sich endlich einmal den Aussentemperaturen geschlagen und ruhten unter den staubigen Kronen enormer Linden.

Den Bootsstegbesitzern und Wasserskischulbetreibern verlandeten die Stege, die Donau sank, ein fast anderthalb Jahrhunderte lang regulierter Strom bekam in der Gluthitze so etwas wie ein wilderes Gesicht zurück. Weite Buchten mit Landzungen entstanden, wo der Flussgrund und seine Untiefen über den Wasserspiegel traten. In diesen Lagunen wateten Reiher, darüber kreisten Möwen, die Fische waren leicht zu fangen. Breit und frei waren die Strände.
Dieses ältere Haus am Ostrand der Siedlung brannte ab, Kabelbrand traf auf Glutsommer, ansonsten: kein Blut, keine Tränen, bloss Schweiss.

Zweitausendvier? Niemand vermag es bis jetzt zu sagen. Bisher verhält sich der Sommer ruhig. Spät in die Gänge gekommen zwar, dann aber recht normal. Verdächtig normal, könnte man meinen.
Glücklich schreiend kreist ein Bussard über den hölzernen Türmen des Strombadportals. Die alte Dame mit dem Turban auf dem Kopf kehrt von der zweiten Hälfte dessen zurück, was man als das grosse Kritzendorfer Vergnügen bezeichnen könnte.

Man wandert dabei den Treppelweg stromaufwärts, bis dahin, wo die Häuser und Hütten schütterer werden, dann schlägt man sich durch Brachland oder Auwald ans Wasser durch.

Hier geht man hinein und lässt sich stromabwärts treiben, gleichmässig vorangedrückt von der ruhigen Hand eines entgegen dem Klischee grünlichen, kühlen, aber nicht kalten Stromes. Kritzendorf zieht jetzt wie ein Film vorbei. Die Au, die Kiesstrände, die Badenden, die Kinder, die Hunde. Von einem kleinen Feuer erwischt man den Geruch von gebratenem Fleisch. Wo man ein Lager hat, ein Häuschen, ein sonstiges Ziel steigt man wieder aus dem Fluss.
Die Dame kehrt zu ihrer Freundin im bunten Badeanzug zurück, die auf einem Bankerl gewartet hat. Sie schlägt sich mehrfach klatschend auf den Hals.

Ich werd dir sagen, sagt sie, was der mit seinem Blutsommer gemeint hat. Noch ein Schlag. Ein kleiner Blutfleck zerrinnt. Die Gelsen, sagt die Turbanträgerin. Die waren das letzte Mal neunundneunzig so arg.

(Quelle:  Ernst Molden (Die Presse)