Wohlmuth war neben Rollig maßgeblich an der Gestaltung vom Strombad in Kritzendorf beteiligt.
Der Erste Weltkrieg hat Wohlmuths Karriere unterbrochen. Dessen ungeachtet bot sich ihm aber bald wieder eine Möglichkeit, zumindest eingeschränkt seinen alten Beruf wieder aufzunehmen. Bereits vor dem Krieg hatte er die Sommermonate mit seiner Familie in Kritzendorf verbracht, um sich Anfang der Zwanziger Jahre hier völlig niederzulassen, wobei der Wohnsitzwechsel möglicherweise in Hinblick auf neue Aufgaben erfolgte. Nur einige Kilometer nördlich von Wien gelegen, verfügte der Ort bereits seit 1903 über ein Strombad an der Donau. Im Laufe der Jahre hatte sich ein reges Badeleben zu entwickeln begonnen. Insbesondere in den frühen Zwanziger Jahren erfuhren Kritzendorf und die umliegenden Orte an der Donau, die mit der Bahn gut erreichbar waren, infolge freierer Lebensformen und des Aufkommens der Weekend-Bewegung geradezu eine Hochblüte, und es entstanden zahlreiche Wochenendsiedlungen mit kleinen Badehütten.
Eine der massgeblichen Persönlichkeiten dieser Entwicklung war der Wiener Anwalt Dr. Marcel Halfon in seiner Funktion als Präsident des Wochenendvereines Österreichs, und als Obmann des Bundes der Hüttenbesitzer in Kritzendorf. Sozusagen als spiritus rector übernahm er nicht nur die juridischen Belange der Wochenendhausbesitzer, sondern trug auch mittels diverser Publikationen zur Popularität des nahe bei Wien gelegenen Erholungsgebietes bei.10 Nicht zuletzt dürfte es dem Engagement Marcel Halfons zu verdanken sein, dass Kritzendorf sich – neben Geschäftsleuten und Mittelständlern – vor allem unter jüdischen Künstlern und Intellektuellen grosser Beliebtheit erfreute und in der Folge zu einer „jüdischen Riviera“ mit einem regen Kulturleben entwickelte. Neben der jungen Hilde Spiel, Friedrich Torberg und vielen anderen, die hier Erholung suchten und sich auch im örtlichen Sportklub betätigten, errichteten auch viele namhafte jüdische Architekten für befreundete Künstler hier diverse Wochenendhäuser, wie Paul Fischl, Felix Augenfeld (für die Kunstgewerblerin Maria Likarz-Strauss), Ernst Schwadron, Fritz Keller und andere mehr. Jacques Groag, einer der bekanntesten Schüler von Adolf Loos, hat noch viele Jahre später in seinem Londoner Exil in seinen Erinnerungen ein ganzes Kapitel seinem geliebten Kritzendorf , das er auch in einem Wortspiel „Village de Kritzen“ nannte, gewidmet.11
Im Rahmen des Ausbaus des beliebten Erholungsgebietes spielte natürlich auch Wohlmuth, der hier ja sozusagen zu Hause war, eine nicht unbedeutende Rolle. Bereits Anfang der Zwanziger Jahre zählte der Bau einer Brücke über den Donaudurchstich zu einem seiner ersten Aufträge. In den nächsten Jahren entwarf er vor allem diverse Wochenendhäuser, im typischen Kritzendorfer Stil in Holzbauweise mit Flachdach auf Stützen (wegen der häufigen Ãœberschwemmungen), die auch von Marcel Halfon publiziert wurden.12 Während ungewiss ist, wie viele von Wohlmuths Entwürfen tatsächlich realisiert wurden, ist ein 1926 errichtetes Strandhaus für den Zahnarzt Dr. Hermann Grünberg eindeutig dokumentiert.13 Es zeichnete sich durch bemerkenswerte kubistische Details wie gezackte Fensterumrahmungen und sich verjüngende Holzpfeiler aus. Das Haus wurde nach der „Arisierung“ von 1938, die Kritzendorf mit besonderer Härte traf, erweitert und umgebaut, besteht im Kern allerdings bis heute. 14
Darüber hinaus war Wohlmuth fortlaufend mit dem Ausbau und der Verbesserung der alten Badeanlage, die noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammte, befasst. All diese Massnahmen erwiesen sich angesichts der ständigen wachsenden Beliebtheit der Gegend, die sich inzwischen zur grössten Weekendhaus-Siedlung Österreichs entwickelt hatte – an manchen Sonntagen kamen bis zu 15.000 Badegäste – als unzureichend, so dass 1926 schliesslich ein Neubau des Strombades in Angriff genommen wurde. Es war nicht zuletzt Julius Wohlmuth, der das diesbezügliche Ansuchen an die niederösterreichische Landesregierung stellte und auch bei der Ausschreibung und Planung massgeblich Anteil hatte. In Zusammenarbeit mit dem Wiener Architekten Heinz Rollig errichtete er in den Jahren 1927/28 die neue Badeanlage, wobei insbesondere die Hüttenzeilen und Kabinentrakte durch einen zentralen Platz eingebunden werden sollten. Daneben entstand eine umfassende Infrastruktur, wie eine Milchtrinkhalle, eine Schiffsstation, ein Friseur, ein Fotograf und anderes mehr. Einen wichtigen architektonischen Akzent stellte der Torbau des Eingangsbereiches dar, der formal angelehnt an die Bauhausarchitektur die Schwelle zwischen Natur und Kultur symbolisiert. Auf dem Dach war eine Kaffeekonditorei untergebracht, von deren Terrasse man einen prachtvollen Ausblick auf die Donau geniessen konnte.
Julius Wohlmuth verstarb schon bald danach, im März 1931- erst knapp 58-jährig. Er war offensichtlich bis zuletzt mit diesem Projekt beschäftigt gewesen. Kritzendorf konnte sich noch für einige Jahre eines blühenden Badelebens erfreuen, das mit dem „Anschluss“ Österreichs jedoch ein jähes Ende erfuhr. Schon im März 1938 wurde Juden der Zutritt uim Strombad verwehrt, Kritzendorf zu Gross-Wien eingemeindet und die Häuser, die zu 76 Prozent in jüdischem Besitz waren (im Sportklub, der ein eigenes Areal innerhalb der Anlage innehatte, betrug der Anteil sogar 96%) „arisiert“. Marcel Halfon, der sich so viele Verdienste erworben hatte, beging noch im Mai 1938 Selbstmord. Ein kurz zuvor gestellter Antrag, seine beiden Häuschen seiner „arischen“ Lebensgefährtin zu vermachen, war abgewiesen worden. Die neuen Besitzer, darunter auch NS- Prominenz wie der Gauleiter Baldur von Schirach, nutzten die Gelegenheit, um Badehütten auszubauen, zusammenzulegen oder auch völlig abzutragen. Sogar Ausbaupläne für ein KdF-Bad (NS-Freizeitorganisation Kraft durch Freude) wurden in Angriff genommen, infolge der Kriegsereignisse jedoch nicht mehr realisiert.
(Auszugsweise, Jüdische Kulturzeitschrift, Ausgabe 83, Ursula Prokop)