Kritzendorf. Regenerieren in würdigem Rahmen und plaudern mit den Kieseln am Donaugrund: Besuch im Strombad.
Zwei Mädchen baggern einen Volleyball in den Donausand. Ein Herr mit Hund flaniert und grüsst freundlich. Vogelgezwitscher. Blätterrauschen im Auwald. Eine weite Wiese, besprenkelt mit Badenden aller Altersgruppen. Vor ihnen ein Kiesstrand und der grosse breite Strom, der noch nicht weiß, dass er bald in einen Donaukanal gezwängt und an herbeigekarrten Sandhaufen und Badeschiffen durch die Wiener Innenstadt gluckern wird.
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Wie Sie als Single mit dem Persönlichkeitstest von diepresse.com/partnersuche Ihren Traumpartner finden. Mehr Infos. » Der idyllische Donau-Badeplatz vor den Toren von Wien ist von Weiden und Pappeln begrenzt, durch das weitläufige Grün des Rasens zieht sich der Treppelweg. Im Hintergrund der Freibad-Szenerie verkünden grosse braune Lettern auf der mächtigen hölzernen Brücke, dem Eingang zum Bade-Areal: Kritzendorf. Und genau diese abgezirkelte, fein definierte Identität ist es, die den unverwechselbaren Charme des Strombades in Kritzendorf ausmacht: regenerieren in würdigem Rahmen.
Das hölzerne Rondeau von Badekabinen und einem altmodischen Buffet bildet den inszenierten Auftakt für einen Tag unter blauem Himmel, an dem sich der Blick in der Donau verlieren kann. Im Strombad Kritzendorf gibt es keine Drehkreuze und seit den Siebzigerjahren keine Bäderkassen mehr. Nicht der Rummel, sondern die Ruhe herrscht hier.
„Wer in der Donau schwimmen gelernt hat, der wird das Gefühl, wie das Wasser einen mitnimmt, und das Plaudern Kiesel am Grund nie missen wollen,“ schwärmt Hilde Philippi, eine Dichterin und Klosterneuburgerin, Jahrgang 1941, die mit der Donau aufgewachsen ist.
Eine gute Portion Nostalgie schwingt beim Baden in Kritzendorf mit. Immerhin wurde das Strombad schon 1902 vom örtlichen Verschönerungsverein „Die Linde“ errichtet. In den 20er-Jahren sprach man gar von „Kritz-les-Bains,“ in Anspielung auf die mondän-eleganten verwandten Orte in Frankreich.
Farkas, Doderer, Leopoldi
Karl Farkas badete in Kritzendorf, Doderer machte es zu einem der Schauplätze der „Strudelhofstiege“. Hermann Leopoldi betitelte 1935 einen Schlager „Mein Schatz ist bei der Feuerwehr in Kritzendorf.“ Industrielle, Akademiker und Künstler zog es nach Kritzendorf. Es ging rund, Orchester spielten auf, Kabaretts erheiterten, im Bad war sogar ein Theater geplant.
Aus den bescheidenen Badehütten rund um das Strombad wurden Villen. Deren grösste ist die sogenannte „Meinl-Villa“, ein Holzbau, der ob seines Pagodendachs Julius II. Meinl angedichtet wurde, da dieser mit einer Japanerin verheiratet war. Tatsächlich aber war die Villa vom Wiener Neustädter Brauereibesitzer Anton Redlich erbaut worden, der ein Asien-Faible hatte. Die Miniatur-Häuser auf Stelzen waren das ideale Betätigungsfeld für Jungarchitekten. Und sind es bis heute.
Als das Hochwasser 2002 ein Pfahlhaus wegschwemmte, bekam das Architekturbüro Dreer 2 die Möglichkeit, ein neues Haus an die Donau zu setzen. „Max 35“ war der Name des Projektes, gemäss der Vorgabe, auf maximal 35m2 Wohnfläche ein Einraumhaus mit Möblierung, Küche und Übernachtungsmöglichkeit für möglichst viele Leute zu konstruieren. Die Donau-Architektur in Kritzendorf kombiniert seit eh und je kleinsten Wohnraum mit grossem Aussenraum.
1938 fielen viele Kritzendorfer Strombadendeund Badehäuschenbesitzer dem politischen Ungeist zum Opfer. Ein Grossteil der Häuser musste umgehend geräumt werden. Die gute Nachricht ist, dass es 1945 zu einer vorbildlichen Restitution in Kritzendorf kam. Der Bäderverwalter Hans Reif kündigte sämtliche Ariseure und versuchte, die rechtmässigen Eigentumsverhältnisse wiederherzustellen. Doch die meisten der Vertriebenen wollten nicht mehr nach Kritzendorf zurück. Das Bad fiel in einen Dornröschenschlaf. Bis heute scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein.
Einer der nie Zurückgekehrten ist der Grossvater von Miguel Herz-Kestranek. In einem Brief aus der Emigration vermerkt er an einem Nachmittag in Südfrankreich: „Heute war es ganz so wie in Kritzendorf.“ Enkel Miguel kennt den Ort und kleidet den Zauber von Kritzendorf in ein poetisches Paradoxon: „Kritzendorf erinnert mich an etwas, was ich nie erlebt habe.“ Auch den Wiener Designer Robert La Roche hat die Magie von Kritzendorf in ihren Bann geschlagen: „Der Fluss ist das Sinnbild des Lebens, und die vorbeiziehenden Schiffe sind die perfekten Fernweh-Träger.“
Das Haus mit Donaublick, das Robert La Roche in Kritzendorf bezogen hat, ist winzig, 21 Quadratmeter Wohnfläche und die Dusche im Freien. Architektonisch ist es ein Juwel: Es stammt von Heinz Rollig, der auch das Strombad in den 20er-Jahren umgestaltet hat. Das Donau-Haus, innen komplett weiss gestrichen, ist erfrischend international, es könnte genauso gut in Florida oder Norwegen stehen. Mit dem Hochwasser haben sich Robert La Roche und seine Frau arrangiert: „Wir pflanzen einfach keine Blumen rund ums Haus. Hin und wieder schwemmt der Fluss ohnehin eine Tulpe an, die dann im Haus hängen bleibt.“
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.07.2007)