Einst blühendes Sommerziel der WienerInnen, wurde das Strombad Kritzendorf 1938 nach radikalen Enteignungen zum Nazi-Bad und erlebte 1945 eine beispielhafte „Rückarisierung“. Eine Ausstellung im Wien Museum Karlsplatz zeichnet die brüchige Geschichte des ehemals mondänen Sommertreffs bis in die Gegenwart nach.
Heute führen zur Urlaubszeit alle Wege nicht nur nach Rom, sondern überallhin. In den 1920er Jahren war für den Grossteil der WienerInnen jedoch Naherholung angesagt: „Sommerfrische“ war das Zauberwort, das Scharen urbaner Menschen veranlasste, die Hitze der Stadt hinter sich zu lassen und unweit in der Peripherie wieder auf ihresgleichen zu treffen. Riviera an der Donau Ein Lieblingsziel quer durch alle sozialen Schichten war in der Zwischenkriegszeit der 15 Kilometer von Wien entfernte Badeort Kritzendorf, der von Ausstellungskuratorin und Buchautorin Lisa Fischer wieder entdeckt wurde. Denn das Strombad Kritzendorf blickt auf ein wechselhaftes Jahrhundert zurück und spiegelt in einem Mikrokosmos die „grosse“ Geschichte Österreichs wider.
Die Schau „Riviera an der Donau – Sommerfrische Kritzendorf“ im Wien Museum Karlsplatz, kuratiert von der Historikerin Fischer und Michaela Lindinger, zeigt Fotos, Dokumente, Briefe und Baupläne und wartet mit Badekleidung und Sonnenbrillen der Zeit auf. Eröffnet wurde das Strombad, das träumerisch „Riviera an der Donau“ und vornehm „Krize-les-Bains“ genannt wurde, im Jahr 1903 im Zuge eines neuen Körpergefühls und Hygienebewusstseins. Seit 1870 war Kritzendorf durch die Franz-Josephs-Bahn an Wien angeschlossen und nicht zuletzt wegen des berühmten Ribiselweins zum beliebten Ausflugsziel der Wiener geworden.
High Society auf Sommerfrische
In den 1920er und 1930er Jahren erlebte das Kritzendorfer Sommerleben seine Blütezeit. Der Architekt Heinz Rollig erweiterte 1928 das Strombad, Sommerhäuser entstanden . (Bernhard Denkingers Ausstellungsarchitektur im Atrium des Wien Museums lässt die bunte Sommerhauskolonie wiederauferstehen.) Tagestouristen reisten alle 20 Minuten per Bahn von Wien aus an. Im Musikpavillon spielten die Wiener Symphoniker auf, und Tänze im Badekostüm zu heissen Tangorhythmen sorgten für Skandale. Eine Intellektuellen- und Künstlerszene von Peter Altenberg bis Lina Loos besiedelte den kleinen Ort im Sommer, die SchriftstellerInnen Hilde Spiel, Heimito von Doderer, Erika Mitterer und Friedrich Torberg hielten die Kritzendorfer Freuden und Frivolitäten in ihren Werken fest, und Hermann Leopoldi dichtete: „Mein Schatz ist bei der Feuerwehr in Kritzendorf und freut sich, wenn es brennt, weil er dann spritzen darf“
Vom Modeort zum Nazi-Bad
Am Höhepunkt des mondänen Gesellschaftslebens in Kritzendorf kam der Bruch: 1938 wurden mit den „Nürnberger Rassengesetzen“ 80 Prozent der Häuser als jüdisches Eigentum enteignet. Die Villen gingen an Parteigenossen, Kritzendorf wurde zum Nazi-Bad. „Für Juden Eintritt verboten“, war auf einem Schild am Badeingang zu lesen. Und noch 1999 fand man bei einem Hausumbau in Kritzendorf 15 NS-Soldatenfiguren, die in der Ausstellung zu sehen sind. 1945 kam es zu einer beispielhaften „Rückarisierungs“-Aktion. Der Sozialdemokrat Hans Reif enteignete in einem knappen Schreiben die NS-BewohnerInnen und Übergab die Badehäuser an NS-Opfer, bis die Rückstellungsanträge der jüdischen EmigrantInnen eintrafen. Die wenigsten Vertriebenen kehrten zurück, sondern verkauften die Häuser. Heute gilt Kritzendorf als Geheimtipp unter den Badeorten an der Donau. Die Bevölkerung hat mit aktuellen Problemen zu kämpfen: Das grosse Hochwasser 2002 hinterliess seine Spuren, und momentan wird man aktiv, um eine Umfahrung quer durch den Auwald zu verhindern.
(Onlinezeitung Universität Wien, 23.7.2004)